DER KAMPF DES LÖWEN - Finsternis

Irgendwann mußte er aufgewacht sein. Schließlich war er doch jetzt wach, obwohl er sich dieses Umstandes nicht wirklich sicher war. Seine Finger glitten in absoluter Finsternis durch ausgetrocknete, lockere Erde, das war das einzige, was er spürte, sein nackter Körper war viel zu ausgekühlt, um weitere Empfindungen aufzunehmen.
Es war einmal anders, schwach kamen ihm Erinnerungen an Freunde, die sich um ihn sorgten, und sicher auch jetzt an ihn dachten. Doch hier, und in diesem Augenblick war er allein, schutzlos und allein.
Er hockte sich hin, zog die Gliedmaßen eng an sich und schloß die Augen. „Es macht keinen Unterschied.“, dachte er, „Es gibt nichts, was ich sehen, und niemanden, der mich erblicken könnte. Doch just in diesem Augenblick hörte er ein leises Scharren, ja, seine durch die lang anhaltende totale Stille hochempfindlich gewordenen Ohren nahmen deutlich wahr, wie sich etwas langsam, aber sehr zielstrebig auf ihn zubewegte. Instinktiv sprang er auf, öffnete die Augen weit, doch die Finsternis blieb undurchdringlich.
PurpurdracheEr wartete, denn er war sich bewußt, wie sinnlos eine blinde Flucht vor etwas war, das im Dunkeln zu sehen vermochte, er mußte es auf sich zukommen lassen. Die Berührung war anders als er erwartet hatte, ein warmes, weiches Fell, ein Wesen, größer als eine Ratte, doch viel kleiner als eine Katze. Aber für den Augenblick war es einfach nur wichtig, Wärme zu spüren, ein Atemgeräusch zu hören, Leben wahrzunehmen. So verharrte er eine ganze Weile mit seinem mysteriösen Gast, der seinen ruhigen Atemzügen nach eingeschlafen zu sein schien, eng an ihn geschmiegt.
Dann bewegte er sich irgendwann, das Wesen erwachte und lief los. Er folgte ihm so gut er konnte, doch das offensichtlich im Dunkeln sehende Wesen bewegte sich viel sicherer als sein sich langsam vortastender Verfolger. Gerade als dieser sein sinnloses Unterfangen, dem kleinen Fellwesen zu folgen, aufgeben wollte, sah er weit hinten am Horizont einen Lichtfleck, und für einen winzigen Moment wurde er seines Führers, seines Retters gewahr. Dieser hatte ihn gar nicht sehen können, das Wesen hat ebensowenig gesehen wie er selbst, wenn nicht sogar weniger.
Er schloß die Augen. „Man muß gar nicht sehen, wo man hingeht, wenn man weiß, wo man hinwill.“, dachte er. „Danke, kleiner Maulwurf!“, rief er in die finstere Stille und machte sich auf zum mühsamen und einsamen Weg zurück zum Licht.

Bild: "Purpurdrache"; Computergrafik, BA'2003