Äonen waren in
Sekunden vergangen.
Durch eine staubige Wüste schritt ein alter
Greis, der einen Knaben an der Hand führte. Ohne sich zu bewegen,
erreichten die beiden eine blühende Landschaft. Vor einer Ansammlung
zerbrochenen Gesteins verharrte der Alte. Der Knabe blickte in das von
unzähligen Narben übersäte Gesicht seines Führers. "Wo sind wir hier ?"
Ohne den Blick von den Steinen zu nehmen,
antwortete der Greis: "Dies war das Zentrum. Der Anfang, wie auch das
Ende, Alpha und Omega. Hier stand seine gewaltige Festung, mit Mauern,
ewiger als die Zeit selbst. Herum ein Wald, größer als die Erde selbst,
mit Geschöpfen, herrlicher als die Schöpfung an sich."
Ungläubig blickte der Junge über die Trümmer,
während sich sein Begleiter erschöpft seufzend auf einen großen Stein
setzte. "Was ist passiert ?" Doch der Alte antwortete nicht. "Wer war
dieses mächtige Wesen, und wo ist es heute ?" rief der Junge und drehte
sich um, doch er erblickte niemanden mehr. "Sieh nach oben !" hörte er
sich selbst sagen, doch die Stimme war die des Alten. Er blickte auf.
"Der ewige Kampf..." wisperte er, als er hoch oben am Firmament zwei
Gestalten erbittert ringen sah. Im selben Augenblick schienen sie auf
ihn herabzustürzen, dabei drehten sie sich in atemberaubender
Geschwindigkeit um sich selbst, doch der Knabe sah die Gesichter der
beiden Löwen mit Drachenschwingen. Ihm wurde schwarz vor Augen, das
Letzte, was er sah, war er selbst, im Zweikampf mit dem alten Mann, der
ihn begleitet hatte.
Der Himmel war schwarz, die Luft bläulich
verfärbt durch giftigen Nebel. Der Horizont allein markierte mit Leere
das Ende dieses Szenarios. Verbrannte Erde, verfaultes Gras...
Dann ein Schloß - prächtig, mächtig,
verführerisch, mit offenem Portal, so trat er ein - und fiel. Ein freier
Fall, den Tod erwartend warf er vergiftete Blitze zurück dorthin, von wo
er kam. Er hörte ihren Aufschlag, ohne ahnen zu können, welchen Schaden
sie wohl anrichteten.
Dann sein Aufprall. Weich, sanft, warm und behütend. Das hatte
nicht einmal er erwartet. War es ein Traum, war DIES das Leben danach ?
Doch er wußte zugleich, daß das nicht wichtig war - Realität ist stets
subjektiv.
Er lächelte... ...und erwachte.
Obwohl
er sich sehr schwach fühlte, schreckte er auf und blickte sich um. Er
fand sich in einer Lichtung, liegend auf einer weichen Sommerwiese,
umgeben von finsterem Wald, den kein Lichtstrahl zu durchdringen
vermochte. Er war sich nicht sicher, ob er den Kampf gewonnen hatte,
doch, dachte er grimmig lächelnd, wenn ich verloren haben sollte, kann
nur ich der Gewinner gewesen sein!
Er nahm jemanden in seiner Nähe wahr, ohne
jedoch erkennen zu können, um wen oder was es sich dabei handelte. Er
vernahm eine gesummte Melodie, und obwohl er sich sicher war, dieses
Stück niemals zuvor gehört zu haben, wäre er in der Lage gewesen, jeden
Takt mitzusummen. Ohne ein Wort zu sagen, stand er auf und schritt zu
dem geheimnisvollen Wesen, welches sich ihm zuwandte. Ein Mädchen, jung,
so jung... doch in ihren Augen ein Feuer, das Eisberge schmelzen könnte.
In diesen unendlich tiefen Augen erblickte er sich selbst. "Sie ist ein
Mensch", dachte er, "und so sieht sie auch mich... als Menschen." Sie
lächelte und reichte ihm ihre Hand, und er zögerte nur kurz, bevor er sie
annahm. Gemeinsam schritten sie in den Wald, verließen die Lichtung, um
sich in die Dunkelheit des unergründlich tiefen Geästes zu begeben. Ohne
etwas zu sehen, liefen sie sicher über unsichtbare Wege, als er plötzlich
ein Schimmern wahrnahm, das von seiner Begleiterin ausgehen mußte. Er
blickte sie an, doch dort, wo eben noch das Mädchen gestanden hatte, war
niemand mehr zu sehen. Verwirrt blickte er sich um, und sah in den
Schatten eine Silhouette, deren Form sich jedoch ständig änderte, und je
genauer er hinsah, desto verschwommener nahm er sie wahr. Benommen
schüttelte er den Kopf, als sich die Gestalt näherte, und schloß
geblendet die Augen. "Nein, das kann nicht sein!", dachte er, doch ihm
fiel ein, daß diesem Gedankengang folgend auch er selbst nicht sein
konnte. Er brüllte laut auf und entfaltete seine Schwingen, um schwebend
das Einhorn zu grüßen, das er gesehen zu haben glaubte. Doch als er die
Augen öffnete, kniete er erschöpft im Gras, und vor ihm stand ein
geflügeltes Pferd, daß ihn mit güldenen Augen anschaute. "Bin ich ?",
fragte das Pegasus, und als der Dragoner antwortete, mußte er immer
wieder seinen Blick von diesem Wesen abwenden, weil es, sobald es
fixiert wurde, seine Form und Farbe alternierte. "Du bist viel mehr als
wir ahnen."
Mehr Worte wurden zunächst nicht gesprochen,
denn keiner von den Beiden war sich ganz sicher, dem trauen zu können,
was er gesehen hatte.
So streifte das Paar weiter durch den Wald und
beäugte sich neugierig. Dann kamen sie an eine Lichtung, und in der
Mitte setzen sich beide nieder, um sich auszuruhen. Der Junge blickte
das Mädchen an. "Du weißt, wo wir sind, nicht wahr ?" Sie schloß die
Augen. "Ja.", flüsterte sie, "dies ist die Lichtung, von der wir kamen."
Er betrachtete sie weiter. Inzwischen hatte er
sich an ihre Formwandlungen gewöhnt, und es bereitete ihm Freude, sie zu
beobachten, um immer wieder neue Mutmaßungen über ihr wahres Wesen zu
treffen. Dennoch mußte er den Blick regelmäßig abwenden, denn eines
der vielen Bilder, die er in ihr sah, erschreckte ihn sehr. Es kam zwar
nur selten vor, aber er war sicher, auch Teile des schwarzen Drachen,
seines Erzfeindes, in ihr wiederzufinden. Doch es schien ihm, als hätte
dieser sie auch nur berührt, wie er ihn berührt hatte, und so seinen
Schatten auf ihr hinterlassen. Auch wußte er genau, daß sie nicht allein
waren in dieser Lichtung, daß unzählige Augen sie betrachteten, und
unzählige Ohren lauschten, welche Entscheidung die Beiden nun treffen
würden.
Er blickte sich um, versuchte, das tiefe
Dunkel des Waldes zu durchdringen, doch es gelang ihm nicht. "Ich weiß,
daß es viel verlangt ist," sagte er zu dem Pegasus, das gerade neugierig
einem bunten Schmetterling hinterherschaute, "aber jemand wie Du wäre
mir eine große Hilfe, diesen Wald zu verlassen, um meinen Weg
weiterzugehen. Um ehrlich zu sein, ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich
allein den Weg hinaus finden würde. Und selbst wenn, würde ich
vielleicht ungewollt viel von dem zerstören, was uns hier so wunderschön
umgibt." Langsam wandte sich das Mädchen zu ihm um, und das
silberschwarze Horn auf ihrer Stirn, das er eben noch gesehen zu haben
glaubte, verschwand. "Verlassen?" Sie schloß die Augen. "Den Wald
verlassen?" Dann schaute sie ihn wieder an, und ihre Pupillen waren
plötzlich tief und unergründlich. "Ich weiß nicht genau, ob es das ist,
was ich will. Ich weiß nicht genau, ob es der richtige Weg ist, und ob
ich überhaupt in der Lage bin, ihn zu gehen. Doch zunächst setze Dich
auf meinen Rücken und wir werden sehen, was passiert..." Er zögerte
nicht lange, stieg auf, doch er war sich bewußt, daß diesem Wesen viel
mehr innewohnen könnte, als er auch nur ahnen konnte. Dennoch hatte er
das Gefühl, das Richtige zu tun, und aus dem Dickicht beobachteten zwei
wunderschöne rote Augen den Abflug des Paares. Die Gestalt betrat die
nun leere Lichtung, ihre wahre Form jedoch blieb im Nebel der Ewigkeit
verborgen. "Sie wird ihren Weg finden !", sagte eine alte Frau leise,
als sie am Horizont das Pegasus beobachtete, wie es sich wild und frei
voller Tatendrang und Neugier immer wieder aufbäumte. "Und sie wird sich
wieder erinnern, wer sie ist.", dachte sie noch...
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